Zwei Jahre nach der Flut gibt es „Licht am Ende eines langen Tunnels“

Zwei Jahre nach der Flut im Ahrtal zieht die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler eine verhalten positive Zwischen-Bilanz: „Viele Baumaßnahmen befinden sich aktuell in der Umsetzungsphase. Trotzdem ist der Wiederaufbau nicht so weit fortgeschritten wie wir es uns alle wünschen“, beschreibt Bürgermeister Guido Orthen die Situation in der Kreisstadt. „Aber wir sehen Licht am Ende eines langen Tunnels.“

Bei der verheerenden Flutkatastrophe waren im Juli 2021 allein im Stadtgebiet von Bad Neuenahr-Ahrweiler 75 Menschen ums Leben gekommen. Straßen, Brücken, Park- und Friedhofsanlagen, Kindergärten und Schulen wurden über Nacht zerstört und waren nicht mehr nutzbar. Der Gesamtschaden an der städtischen Infrastruktur betrug insgesamt rund 1,7 Mrd. Euro. Die notwendigen Sanierungen, Abriss und Neubau-Vorhaben umfassen einen Maßnahmenkatalog von über 1.400 Einzelprojekten, die die Stadtverwaltung gemeinsam mit der eigens gegründeten Aufbau- und Entwicklungsgesellschaft auf Hochtouren vorantreibt.

Wiederaufbau mit Provisorien

Während unmittelbar nach der Flut die Priorisierung auf der Versorgung mit Wasser, Strom, Abwasser und Wärme lag, ist die zerstörte Infrastruktur heute größtenteils zumindest provisorisch wieder hergestellt. „Von den insgesamt 120 betroffenen Gebäuden der Stadt befinden sich aktuell mehr als 80 Prozent in der Sanierung oder im Neubau“, erklärt Guido Orthen.

Für viele Lebensbereiche gibt es Teilerfolge zu vermelden: Die städtischen Kindertagesstätten stellen inzwischen über 100 KiTa-Plätze mehr als vor der Flut zur Verfügung. Mit der Fertigstellung des Mittelplatzes im Apollinaris-Stadion kann seit Juni der erste Sportplatz im Stadtgebiet wieder genutzt werden. Auch das Radfahren ist im Stadtgebiet dank eines provisorischen Radweges wieder möglich. Parkanlagen wie der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Park laden zum Spazieren und Verweilen ein.

Einwohnerzahl steigt kontinuierlich

Auch die Innenstädte von Bad Neuenahr und Ahrweiler und den übrigen Stadtteilen sind inzwischen wieder belebt: So verzeichnete die Stadt mehr als 300 Neu- und/oder Wiedereröffnungen von Gewerbebetrieben mit dem Schwerpunkt Einzelhandel und Dienstleistungen, darunter viele Gastronomie- oder Gesundheitseinrichtungen. Zahlreiche Feste und Veranstaltungen konnten in diesem Jahr wieder stattfinden und sind für die zweite Jahreshälfte geplant, beispielsweise das Sommerkino oder auch die Klangwelle im Kurpark. „Wir freuen uns, dass das Leben in die Stadt zurückkehrt – und dass wir Feste und Veranstaltungen ausrichten können, dass immer mehr Touristen unsere Stadt besuchen, und dass auch unsere Einwohnerzahl wieder kontinuierlich steigt“, so Guido Orthen. Seit Sommer 2022 registriere das Einwohnermeldeamt im Durchschnitt 50 Neu- oder Wiederanmeldungen pro Monat. Der Bürgermeister geht davon aus, dass die Kreisstadt spätestens in drei Jahren wieder die ursprüngliche Einwohnerzahl von vor der Flut erreichen werde.

„Diese Fortschritte machen uns Mut und geben Zuversicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir zufrieden sein können mit dem Stand der Dinge“, stellt Guido Orthen klar. Die Menge und die Komplexität der Maßnahmen sowie die Abhängigkeiten von anderen Trägern verhinderten einen schnellen und effizienten Wiederaufbau. So müssten beispielsweise Vorhaben im Straßenbau stets auch mit Ver- und Entsorgern oder der Telekom abgestimmt werden. Und auch die Koordination der Zuständigkeiten zwischen Stadt, Kreis und Land koste nach wie vor zu viel Zeit. „Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger fragen sich, wieso wir auch zwei Jahre nach der Flut noch an Übergangslösungen arbeiten“, erläutert Orthen. „Aber Provisorien sind unbedingt erforderlich, um einen jahrelangen Stillstand in der Stadt zu verhindern.“

Verfahrenserleichterungen lassen auf sich warten

An vielen Stellen würden Prozesse unnötig in die Länge gezogen. „Das gesamte Ahrtal wartet dringend auf die versprochenen Erleichterungen durch die beschlossene Baugesetz-Novelle“, so Orthen. Der Kreis Ahrweiler müsse außerdem stärker für die zügige Abarbeitung und Genehmigung von Bauanträgen sorgen. „Hier fordern wir von den übergeordneten Behörden mehr Pragmatismus und eindeutige Verfahrenserleichterungen, um in den kommenden Monaten zügig voranzukommen“, so der Bürgermeister. Die flutbedingt nach wie vor hohe Auslastung der Mitarbeitenden werde durch zusätzlich geschaffene Stellen nur teilweise kompensiert. Der Fachkräftemangel sorge dafür, dass insbesondere in den technischen Bereichen und im Ingenieurswesen viele Stellen unbesetzt blieben.

Anpassung der Verwaltungsvorschrift gefordert

Auch die Finanzierung des Wiederaufbaus macht der Stadtverwaltung Sorgen. Der Hilfsfonds von Bund und Land übernimmt grundsätzlich nur den Wiederaufbau in den Zustand vor der Flut. Neuerungen und Verbesserungen muss die Stadt selbst tragen. Das betrifft nahezu sämtliche Bauvorhaben, angefangen vom geplanten Neubau der Ahr-Thermen über die Erweiterung der Kindertagesstätte Blandine-Merten-Haus bis hin zu kleineren Maßnahmen wie zusätzlichen Baumreihen in der Innenstadt. Bei allen Bauvorhaben hat zudem der Schutz vor den Folgen von Starkregen und Hochwasser oberste Priorität und muss ebenfalls einkalkuliert werden. „Wir wollen unsere Stadt nicht einfach nur wieder aufbauen, sondern wir müssen sie besser, effizienter und nachhaltiger machen“, stellt Guido Orthen klar. Die Finanzierung entsprechender Maßnahmen übernehme das Land wenn überhaupt bislang nur teilweise und nach aufwendiger Prüfung. „So können wir nicht planen“, erklärt Orthen. „Deshalb brauchen wir eine entsprechende Anpassung der Verwaltungsvorschrift. Sollte dies nicht umsetzbar sein, müssen Bund oder Land einen Sondertopf für die Co-Finanzierung von erforderlichen Maßnahmen, die der Wiederaufbaufonds nicht abdeckt, bereitstellen.“

Dank an Bürgerinnen und Bürger

An die Bürgerinnen und Bürger von Bad Neuenahr-Ahrweiler richtet Bürgermeister Guido Orthen einen besonderen Dank. „Die vergangenen zwei Jahre haben den Menschen in dieser Stadt sehr viel abverlangt. Viele von ihnen sind müde und mürbe. Ich wünsche mir von Herzen, dass wir trotz allem Ärger, den wir teilen, auch die Hoffnung teilen. Und ich danke allen, die dazu beitragen, unsere Heimat wieder aufzubauen, auch den zahlreichen Helferinnen und Helfern, die die Menschen im Ahrtal bis heute unterstützen!“

Die Stadt möchte ihre Bewohnerinnen und Bewohner künftig noch stärker in die Wiederaufbau-Prozesse einbinden. Der Austausch mit der Verwaltung soll bei verschiedenen Beteiligungsformaten, Baustellenbesichtigungen und beim Feiern von Fortschritten und Erfolgen intensiviert werden. Bis zum Herbst solle beispielsweise ein Fahrplan für die weiteren Tiefbauarbeiten in den Innenstädten stehen, der den Betroffenen Planungssicherheit bietet. „Ein respektvoller und offener Dialog aller Beteiligten ist die Grundvoraussetzung, um diese Mammutaufgabe gemeinsam zu schaffen“, so Bürgermeister Guido Orthen.