Karl Marx
Der Aufenthalt von Karl Marx im Bade Neuenahr lässt sich im Kur-Journal vom 11. August 1877 unter den Nummern 1177-1179 und in den Kur- und Fremdenlisten, Jahrgang 1877, 18. und 25. August sowie 1. September in den Ausgaben Nr. 14 bis 16 nachweisen.
Marx reiste mit Familie am 8. August 1877 von London ab. Die Reise dürfte ca. 2-3 Tage gedauert haben, so dass er wahrscheinlich am 10./11. August in Neuenahr eintraf. Die Route ist nicht belegt, aber wahrscheinlich reiste er über Dover-Ostende und anschließend mit dem Zug nach Remagen. (Heinrich Gemkow, Karl Marx‘ letzter Aufenthalt in Deutschland. Als Kurgast in Bad Neuenahr 1877. Wuppertal, o.J., S. 15.)
Die Postkutsche von Remagen fuhr 4mal täglich 10:15, 13:45, 16:15 und 21:45 Uhr und von Neuenahr nach Remagen um 5:15, 8:30, 13:45 und 18:30 Uhr. Zudem konnte man eine Extrapost für 2 Taler und 11 1/2 Silbergroschen beauftragen oder einen Mietwagen nehmen. (Dr. Paul Unschuld, Die Mineralquellen von Neuenahr verglichen mit denen von Carlsbad, Vichy und Ems, Bonn um 1870, S. 66-69.)
Wahrscheinlich erfolgte die Abreise am 2. September. Die Feierlichkeiten am Sedantag im Ort dürften Marx, der diese nationalistischen und militaristischen Feiern verabscheute, die Abreise erleichtert haben. Sicherlich folgte er auch dem Rate von Dr. Schmitz, die Neuenahrer Kur in den Höhen des Schwarzwaldes für 2 - 3 Wochen abzuschließen, allerdings gibt es bisher auch hierfür keine Nachweise.
Karl Marx logierte zusammen mit seiner Frau Jenny und seiner Tochter Eleanor im Hotel zur Flora auf der Hauptstraße des noch jungen Kurortes. In dem bis heute erhaltenen Gebäude mit der Hausnummer 116 ist seit 1969 die Stadtverwaltung von Bad Neuenahr-Ahrweiler untergebracht. Das erst 1872 von Ferdinand Schroeder eröffnete Hotel hatte ein Gartenrestaurant und war für frische Waffeln und Felsenbier berühmt.
Die Familie Marx, „3 H(er)r. Karl Marx, Dr. phil., n(ebst). Gem(ahlin). u. Fr(äu)l(ein). Tochter, London“, so der Wortlaut der Kur- und Fremdenliste Nr. 14 vom Samstag, 18. August 1877, war aus gesundheitlichen Gründen ins Ahrtal gekommen. Dies hielt Marx aber nicht davon ab, von hier aus Briefkontakte u. a. zu Friedrich Engels oder dem Verleger Bracke in Braunschweig zu pflegen. Trotz Kur und notwendiger Ruhe arbeitete Marx u. a. an der Korrektur der Übersetzung der "Histoire de la commune de 1871" seines Schwiegersohnes in spe Prosper-Olivier Lissagaray. Der Besuch seines engen Freundes, des Chemikers Professor Carl Schorlemmer (1834-1891) aus Manchester, der in Neuenahr am 23. August 1877 eintraf und ebenso im Hotel zur Flora eine Woche wohnte, dürfte eine gute Ablenkung gewesen sein.
Gesundheitlich ging es sowohl Karl Marx als auch seiner Frau Jenny in dieser Zeit sehr schlecht. Nach den Ausführungen von Heinrich Gemkow litt Marx an einem Leberleiden und vor allen Dingen an Schlafstörungen. Auch der Gesundheitszustand von Jenny Marx hatte sich erheblich verschlechtert, so dass die Ärzte auf eine Kur drängten.
In einem Brief an Engels vom 23. Juli 1877 ist zum ersten Mal der Plan erwähnt, nach Neuenahr zu gehen:
„Die Karlsbader Ärzte selber haben in Augenblicken des Vertrauens mir gesagt, daß, wenn man Karlsbad nicht jedes Jahr besuchen will, Neuenahr als Intermezzo wohltätig sein möchte.... Es ist wahrscheinlich sogar hygienisch besser, einmal zu alterieren und schwächeres Bad zu nehmen, denn variatio delectat corpus“ (Marx an Engels, 23.07.1877, Marx-Engels-Werke, Berlin 1956, 34, S. 52ff).
Bestimmend für den Entschluss, die Kur im beschaulichen und vom Weltgeschehen abgelegenen Ahrtal zu wählen, war also mit Sicherheit die Empfehlung der Ärzteschaft. Nicht zuletzt erhoffte man sich durch die Behandlung von Badearzt Dr. Richard Schmitz, der seit 1863 in der Mittelstraße im Zentrum des Neuenahrer Kurviertels praktizierte, eine Besserung der andauernden gesundheitlichen Probleme. Edwin Lee hatte den Analysen und Erkenntnissen von Dr. Schmitz bereits in seinem 1870 in London erschienenen Heft „The Principal Baths of Rhenish Prussia“ mehrere Seiten gewidmet. Wie das Hotelgebäude der Flora ist auch die Villa von Dr. Richard Schmitz noch erhalten. Hier befinden sich heute die Räumlichkeiten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit der Stadt (OKUJA). Auch hat Dr. Schmitz Schriften zu seinen Erfahrungen mit dem Neuenahrer Wasser hinterlassen.
Ebenfalls spielten für die Familie Marx die nicht unerheblichen Kosten für eine Kur eine entscheidende Rolle. Diese Kosten waren in Neuenahr geringer, als in dem von Marx bevorzugten Karlsbad.
Wie aber muss man sich den Aufenthalt und die Kur im Bade Neuenahr 1877 vorstellen?
Dr. Paul Unschuld beschreibt die Einrichtungen des Bades Neuenahr um 1870 so: "Neuenahr, erst in der 2. decade seiner Wirksamkeit, bietet dem Fremden als ersten Eindruck den des Unfertigen. Hütten neben Hotels, Sandwüsten neben Parkanlagen, Ziegenställe neben Wagenremisen, Filetvorhänge neben Papierscheiben. ... es ist die Abgeschlossenheit von der Welt in einem Dorfe in inniger Verbindung mit dem Comfort der Welt und den Vorzügen einer gemüthlichen Gesellschaft. ... Theater fehlen, dafür rühmen wir den Fremden eine behagliche Beschaulichkeit und idyllische Ruhe an, nur unterbrochen durch unser böhmisches Orchester und zeitweise Concerte. ... Es gibt 40 Badecabinets, darunter Regen-, Strahl-, Sturz- und Staubbäder, Douchen von 40´ (Fuss) Fallhöhe, sowie aufsteigende Douchen für Uterus und Vaginalleiden. ... Zugleich an der Trinkhalle befindet sich ein Appenzeller mit Molken und frischer Milch. Das Lesezimmer im Kurhaus bietet eine entsprechende Auswahl in- und ausländischer Zeitungen und die Bibliothek kann eine reichhaltige genannt werden. Im Kurhaus ist zugleich Post und das Telegraphenbureau. ... Für den Besuch der Umgebung stehen reichlich Wagen und Esel zu Gebot." (Dr. Paul Unschuld, Die Mineralquellen von Neuenahr verglichen mit denen von Carlsbad, Vichy und Ems, Bonn um 1870, 66-69.)
Dr. Richard Schmitz meinte 1868: "Die Badeeinrichtungen in Neuenahr zeichnen sich durch ihre Zweckmässigkeit und Bequemlichkeit so sehr aus, dass sie sogar bei neuen Einrichtungen in andern, ältern und renommirteren Bäder´n als Muster gedient haben."(Dr. Richard Schmitz, Erfahrungen über Bad Neuenahr, Ahrweiler 1868. S. 30.)
Die Mehrzahl der Kurgäste besuchte Neuenahr allerdings u. a. wegen einer Trinkkur, die mit Bäderanwendungen je nach ärztlicher Empfehlung kombiniert werden konnte. Eine Vorstellung über eine solche Trinkkur geben die zahlreichen historischen Informationsschriften des Heilbades. Der „Leitfaden für die Besucher und Freunde des Bades Neuenahr im Ahrtale am Rhein“ von Albert Lenné aus dem Jahre 1874 gibt zum Beispiel auf den Seiten 32-33 zur „Trinkcur“ folgende Auskunft:
„Allgemeine Trink-Regeln für das Neuenahr-Mineralwasser – sei es am Brunnen, sei es im Hause des Kranken – sind: dass man dasselbe (des Morgens, wo möglich nüchtern) in langsamen Zügen trinken und zwischen jedem Glase eine Zwischenzeit von mindestens 10 bis 15 Minuten lassen muss. Diese Zwischenzeit füllt man am zweckmässigsten durch Spazierengehen aus; - bei Schwäche und leichter Ermüdung kann es aber auch sitzend oder im Bett liegend getrunken werden. Nach dem letzten Glase muss eine volle Stunde gewartet werden, bis man das Frühstück einnehmen darf.“ (Albert Lenné, Leitfaden für die Besucher und Freunde des Bades Neuenahr im Ahrtale am Rhein“, Neuenahr 1874, 32-33.)
An den Trinkquellen hatten Brunnenmädchen das Heilwasser dem Kurgast „zuvorkommend“ zu verabreichen und die Anwendungen in ein „Controllbuch“ einzutragen. Sie verwalteten auch das jeweilige mit einer Nummer versehene Trinkglas des Kurgastes, so dass dieser immer sein eigenes Glas benutzen konnte.
Fusbahn schreibt um 1888 in seinem Reiseführer: "Das Wasser Neuenahr´s, des 'rheinischen Karlsbades', ist von hervorragend heilkräftiger Wirkung bei Zuckerkranken. Ebenso günstig ist die Einwirkung der Quellen bei Leberleiden, bei Gallensteinen, Gicht, chronischen Rheumatismus, chronischen Magen- und Darmkatarrh, Nierenentzündung. Katarrh der Atmungsorgane und bei Frauenleiden."(W. Fusbahn, Der neueste Führer durch´s schöne Ahrthal ...Bonn 1888. S. 21f.)
Für die Kurgäste stand im Kurpark in unmittelbarer Nähe der Trinkbrunnen ein gut bestückter Lesesaal mit internationalen Zeitungen zur Verfügung, im Musikpavillon spielte während der Trinkzeiten das Kurorchester, ein Rosengarten, schön angelegte Blumenbeete und Alleen sowie die idyllische Landschaftskulisse boten dem Gast vielfältige Möglichkeiten zur Entspannung und Inspiration.
Auch die Unterbringung in den örtlichen Hotels links und rechts der Ahr war komfortabel und entsprach den modernsten Ansprüchen der Zeit. Hotels, Pensionen und Privatzimmer gab es für jeden Anspruch und jeden Geldbeutel. Mehr als 30 Neubauten von Hotels und Pensionen verdeutlichen die beginnende Entwicklung zu einem Weltkurbad.
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