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Stolpersteine in Bad Neuenahr-
Ahrweiler - „Hier wohnte…“

„Stolpersteine“ gibt es in vielen Städten und Dörfern in Deutschland sowie weiteren 25 europäischen Staaten. Überall dort, wo es Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens gab und wo sie in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945) vertrieben und ermordet wurden, kann man die kleinen Messingtafeln im Boden finden. Im Dezember 2019 waren es insgesamt 75.000 Steine.

Damit ist das Erinnerungsprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig das größte dezentrale Holocaust-Mahnmal der Welt. Die 75.000 Steine in den unterschiedlichsten Städten und Dörfern verbinden die europäischen Länder in ihren Bemühungen gegen das Vergessen und die Verharmlosung des Holocaust und haben sich zu einem wichtigen Bestandteil der europäischen Friedensarbeit entwickelt.


Auch Bad Neuenahr-Ahrweiler ist Teil dieses Projektes:

72 Stolpersteine sind es allein in den Stadtteilen Ahrweiler, Bad Neuenahr und Heimersheim. Auch sie erinnern an deportierte und ermordete Bürgerinnen und Bürger in der Zeit des Nationalsozialismus, die von April bis Juli 1942 aus dem Stadtgebiet in die Vernichtungslager abtransportiert worden waren.

Stolpersteine sind eine Form des Erinnerns. Sie erinnern an Menschen, die oftmals noch nicht einmal ein Grab haben. Sie erinnern an Menschen, deren Menschsein und Menschenwürde innerhalb kürzester Zeit systematisch ausgelöscht wurde.

Verlegt wurden die Stolpersteine im Stadtgebiet in der Zeit von 2012 bis 2015 von dem Kölner Künstler, Initiator und Projektleiter Gunter Demnig:

Warum lebten diese Menschen im Stadtgebiet?

Im ländlich geprägten Ahrweiler ist bereits im Mittelalter eine jüdische Bevölkerung nachweisbar. Sie lebte vom Handel mit Vieh und Landprodukten. Bereits 1290 wird in einer Urkunde eine „Judengasse“, die heutige Niederhutstraße, erwähnt. Spätestens ab dem 15. Jahrhundert gab es in Ahrweiler eine jüdische Gemeinde. Bis um 1900 zählte sie über 100 Mitglieder, 1894 war die Ahrweiler Synagoge eingeweiht worden (s. Foto: © Gerd Weigl). 1933 wurden noch 31 jüdische Einwohner gezählt.

In Heimersheim ließen sich erstmals im 18. Jahrhundert jüdische Familien nieder. 1808 lebten hier und in den zugehörigen Dörfern Green, Lohrsdorf und Nierendorf 27 jüdische Einwohner. 1858 waren es 37, von denen mehrere Familien nach der Erbohrung der Heilquellen und dem Aufbau des Bades Neuenahr dorthin übersiedelten. 1895 wohnten noch 13 Juden in Heimersheim.

Der erste jüdische Bürger von Neuenahr war Gottfried Borg aus dem benachbarten Heimersheim. Er gründete 1860 das Hotel Landskron im damaligen Stadtteil Wadenheim. 1896 wurde die jüdische Gemeinde Neuenahr gegründet und 1901 eine jüdische Synagoge in der Tempelgasse (heute Wadenheimer Straße, Foto: © Werner Mertens) eingeweiht. Sie wurde am 9.11.1938 zerstört. Ein Gedenkstein erinnert am früheren Standort an dieses Gotteshaus.

Mit dem kontinuierlichen Aufbau des Heilbades vergrößerte sich die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde auf 89 im Jahr 1925. Der Beitrag, den diese Menschen in der Zeit des Aufbaus für das Heilbad geleistet haben, muss als sehr bedeutend eingeschätzt werden. Sowohl Ärzte als auch Hoteliers verfügten über ihr religiöses und kulturelles Netzwerk über hervorragende Kontakte ins europäische Ausland und halfen das Bad über die deutschen Grenzen hinaus bekannt zu machen.

Warum mussten diese Menschen dieses Schicksal erleiden?

Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 begann unter der nationalsozialistischen Regierung Adolf Hitlers ein Prozess der Gleichschaltung in Ländern und Kommunen, Vereinen, Organisationen und Verbänden, also dem gesamten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Deutschland, sowie der Aufbau eines riesigen bürokratischen Apparates.

Allein bis zum Januar 1935 hatte sich die bei der Machtübernahme Hitlers dokumentierte Mitgliederzahl von 850 000 Personen verdreifacht, im Mai 1945 gehörten der Partei rund neun Millionen Personen an. Die mit der Parteimitgliedschaft verbundenen, alle Lebensbereiche umfassenden Vorteile waren nur möglich, weil andere Personen ausgegrenzt wurden. Diese waren Menschen, die wegen ihrer Religion, ihrer politischen Einstellung, wegen körperlicher oder psychischer Erkrankungen oder einfach wegen ihrer individuellen Lebensweise überhaupt nicht Mitglied werden durften.

Von all diesen Menschen wurden diejenigen, die in irgendeiner Weise mit der jüdischen Religion und Kultur in Verbindung standen, in besonderem Masse ausgegrenzt. Diese Menschen, die „Juden“, wurden zum Feindbild der Gesellschaft und des gesamten Staates deklariert.

Die anfänglichen antisemitischen Kampagnen und Schikanen führten zu Auswanderung und Verarmung der jüdischen Bevölkerung und spitzten sich im Jahr 1938 zu. Durch mehrere Verordnungen zum „Reichsbürgergesetz“ wurde die jüdische Bevölkerung von der Ausübung freier, akademischer Berufe (z.B. Arzt/Rechtsanwalt) ausgeschlossen, das Ausführen von Handwerk, Gewerbe sowie der Handel wurde verboten. Ende April 1938 waren alle Juden gezwungen, ihre Vermögensverhältnisse offenzulegen, ab Juli 1938 eine Kennkarte zu führen, Mitte November 1938 durften Kinder jüdischer Eltern nicht mehr in die Schule gehen. Am 8. und 9. November brannten in einer Welle von Pogromen in ganz Deutschland die Synagogen, die am 10. November offiziell für beendet erklärt wurden.

Bereits wenige Tage später kam es im ganzen Deutschen Reich zu einer Radikalisierung der antisemitischen Maßnahmen: Jüdische Männer wurden verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt.

Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1.09.1939 begann der Zweite Weltkrieg und die massenhafte Vertreibung und Ermordung (Holocaust) der jüdischen Bevölkerung, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen sowie allen Menschen, die dem System kritisch gegenüberstanden, in den Konzentrationslagern. Ab Oktober 1941 erfolgte auf Befehl Hitlers die systematische Verschleppung und Ermordung aller europäischer Juden.

Dieser Befehl zum Völkermord auf höchster Ebene hat auch im Stadtgebiet von Bad Neuenahr-Ahrweiler und im Ahrtal seine Spuren hinterlassen: Von April bis Juli 1942 wurden hier die letzten, noch verbliebenen Juden in die Konzentrationslager deportiert. Sie waren nicht geflohen, weil sie bis zuletzt ihre Heimat nicht verlassen wollten und nicht glauben konnten, dass man auch gegen sie vorgehen würde.

Bittschreiben der Familie Elkan


Warum sollen wir uns erinnern?

Die Menschen, die durch den Holocaust ermordet wurden, haben keine Gräber. Da es keine Gräber gibt, haben die zurückbleibenden Familienangehörigen und Freunde keinen Ort, an dem sie ihren Verlust betrauern können.

Das Festhalten von Namen und Lebensdaten auf Gedenkblättern, Mahnmalen oder Stolpersteinen erfüllt daher das tiefe menschliche Bedürfnis, ein Erinnerungszeichen für die Menschen zu setzen, von denen keine Spur mehr auffindbar ist.

Die Erinnerung an diese Menschen erfüllt aber auch den Zweck der Mahnung, dass nämlich auf deutschem Boden so etwas nie wieder geschehen darf. Die vielfältige Erinnerungsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland ist ein wichtiger Bestandteil unserer Friedenspolitik und unseres Demokratieverständnisses.

Warum „Stolpersteine“?

Das Projekt „Stolperstein“ ist eine Initiative des Kölner Künstlers Gunter Demnig (Foto links: © Werner Mertens). 

Der Stolperstein besteht aus einer individuell bearbeiteten Messingplatte, die auf einem 10 x 10 cm großen Pflasterstein montiert und auf dem Niveau der Straße oder des Gehweges eingesetzt wird. Auf der Messingtafel sind Name und biografische Angaben der ermordeten Person angegeben, soweit diese zu ermitteln waren.

Jeder Stolperstein erinnert an ganz normale Bewohner einer Stadt oder eines Dorfes und befindet sich am Ort des letzten frei gewählten Wohnsitzes oder, wenn dieser nicht nachweisbar ist, am Ort der Sammelstätte, von dem die Menschen in die Vernichtungslager deportiert wurden. Die ungeheure Anzahl an Stolpersteinen in Deutschland und den benachbarten Ländern zeigt, dass es keinen Ort in Europa gibt, an dem die Menschen wirklich sicher gewesen waren.

Die Besonderheit des Projektes von Gunter Demnig ist, dass es sich nicht um ein zentrales und teures Mahnmal auf gesellschaftspolitischer Ebene handelt. Die Erinnerungssteine werden aus der Bevölkerung finanziert und gepflegt. Jeder Stein wird von Gunter Demnig selbst verlegt. Mit 75.000 Steinen (Dez. 2019) ist es schon heute das größte dezentrale Mahnmal der Welt.